Geothermisches Potenzial: Projekt Hessen 3D
Das vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUELV) finanzierte Forschungsprojekt "3 D-Modellierung der Geothermischen Tiefenpotenziale von Hessen" wurde vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Darmstadt in Kooperation mit dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) erarbeitet.
Erstmals wird hessenweit das tiefengeothermische Potenzial für verschiedene direkte und indirekte Nutzungsarten quantifiziert und qualitativ beurteilt. Der Abschlussbericht zu dem Projekt wurde dem HMUELV im September 2011 übergeben.
Das Modell soll anschauliche Informationen zum tiefengeothermischen Potenzial und zur Ausbildung des tieferen Untergrundes von Hessen als Information für die Öffentlichkeit, für politische Entscheidungsträger, für Investoren aus der Wirtschaft und insbesondere in der Frühphase der Planung tiefengeothermischer Projekte auch für Fachplaner bereitstellen. Das Modell kann und soll aber nicht die genaue Untersuchung im Rahmen konkreter Projekte ersetzen.
Durch eine Betrachtung nicht nur des geogen vorhandenen tiefengeothermischen Potenzials, sondern auch mittels einer Verschneidung mit konkurrierenden Nutzungen (Schutzgebiete, Verkehrswege etc.), möglichen Risiken (Seismizität) und Energiebedarfsanalysen (z.B. Karte der Wärmesenken) sind weitergehende Aussagen zur Standortvorauswahl tiefengeothermischer Anlagen möglich. Durch eine an das Geothermische Informationssystem für Deutschland (GeotIS) angelehnte Methodik der Potenzialbetrachtung ist zudem ein Datenaustausch zwischen den Systemen möglich. Hier können interaktiv Schnittdarstellungen und Isolinienkarten aus dem Modell "Hessen 3 D" generiert werden.
Das Modell "Hessen 3 D" kann aber nicht nur in Hinsicht auf die Nutzung tiefer Geothermie, sondern auch allgemein von wesentlicher energiepolitischer Bedeutung sein, z.B. können Hinweise zu speziellen Fragestellungen im Zusammenhang mit weiteren hochaktuellen Themen wie Speicherung von Stoffen im tiefen Untergrund (CCS, Erdgas, Methan, Wasserstoff, Druckluft) oder der Nutzung nicht konventioneller Kohlenwasserstofflagerstätten (tight gas und shale gas-Lagerstätten) mit dem Modell "Hessen 3 D" geliefert werden.
Das Modell "Hessen 3 D" ist für spezielle Fragestellungen erweiterungsfähig und wird in Zukunft nach Gewinnung neuer Daten laufend erweitert und verfeinert werden. Das Modell "Hessen 3 D" gliedert sich in die zwei Teile "Geologisch-geothermisches 3 D- Modell" (Bearbeitung: Dirk Arndt) und "3 D-Modell der tiefengeothermischen Potenziale" (Bearbeitung Kristian Bär).
Das geologisch-geothermische 3 D-Modell wurde im Rahmen der Dissertation von D. Arndt an der TU Darmstadt entwickelt.
Das als Basis für die geothermische Potenzialermittlung erarbeitete geologische 3-D-Modell wurde unter Verwendung der Software GOCAD und der zugehörigen Arbeitstechniken erstellt (Mallet, 2002). Es überdeckt die gesamte hessische Landesfläche von mehr als 21.000 km ². Das Modell bildet die Oberflächen ("Top") stratigrafischer Einheiten ab, beginnend mit dem sogenannten "Prä-Perm" (untergliedert in "Mitteldeutsche Schwelle" und "Rhenoherzynikum mit Phyllit-Zone") über Rotliegendes, Zechstein, Buntsandstein und Muschelkalk bis zum Tertiär und Quartär als zusammengefasste Einheit.
Die große bearbeitete Fläche mit einer sehr großen Anzahl von Daten verschiedenster Herkunft und Qualität erforderte eine Aufarbeitung, für die mehrere Computertools entwickelt wurden, um die Daten in das Modell zu implementieren (Arndt et al. 2011). Nach der Übernahme in das Modell wurden die Daten visuell auf Plausibilität überprüft und die Modellvorstellungen wurden schrittweise dem wachsenden Erkenntnisstand angepasst. Teilweise wurden "künstliche" geologische Schnitte, "virtuelle Bohrungen" oder andere interpretierte Daten wieder in das Modell integriert, um Datenlücken zu überbrücken.
Wegen der großen Modellfläche ist das Modell in 6 Submodelle unterteilt, die durch geologische Strukturgrenzen mit Hauptstörungen definiert sind, bzw. sich nach der aus der GÜK 300 abgeleiteten geologischen Strukturkarte von Hessen richten.
Einen Eindruck des Modells vermittelt eine dreidimensionale PDF-Datei (Download, 55 MB), die mit Acrobat Reader geöffnet werden kann. Die verschiedenen geothermischen Zielhorizonte lassen sich dort per Mausklick aktivieren, ein Drehen des Modells und ein Durchfahren im Raum sind möglich.
Seit 2012 ist das Modell in das Geothermische Informationssystem Deutschland (GeotIS) eingebunden. In dem Modul „Geothermische Potentiale“ können sowohl statische geologische Schnitte angesehen als auch seit 2013 vertikale Schnitte und horizontale Schnitte (Isolinienkarten) in beliebiger Raumlage interaktiv erzeugt werden.
Das geologische Modell basiert auf der Geologischen Übersichtskarte 1 : 300.000 (GÜK 300, HLUG, 2007). Hinzu kommen Bohrungsdaten, geologische Schnitte, Mächtigkeitskarten und Isolinienkarten von Schichtgrenzen verschiedenster Herkunft. Die Geländeoberfläche wurde aus dem digitalen Höhenmodell DGM25 (Kachelkantenlängen 25 m) der Hess. Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation als Höhenmodell mit gleichschenkligen Dreiecken von 200 m Seitenlänge abgeleitet.
Von den vorliegenden Bohrungsdaten aus dem Archiv des HLNUG und der Kohlenwasserstoffdatenbank beim LBEG in Hannover (KW-Verbund) wurden mehr als 4150 Bohrungen als zur Übernahme in eine Projektbohrdatenbank ausgewählt, die sämtlich mehr als 50 m tief sind. Die in der KW-Datenbank vorhandenen Angaben über Bohrlochabweichungen wurden zur Steigerung der Modellgenauigkeit ebenfalls verwendet. Die Datendichte der tiefen Bohrungen ist unterschiedlich und in Gebieten mit Kohlenwasserstoffexploration (Oberrheingraben) und Kalisalzgewinnung (Osthessen) naturgemäß höher.
Neben den Bohrdaten wurden 318 geologische Schnitte bei der Modellerstellung berücksichtigt, die meisten davon aus geologischen Kartenwerken der Maßstäbe 1:25.000 und 1:200.000 sowie aus den Schriften des HLNUG (Geologische Abhandlungen Hessen und Geologisches Jahrbuch Hessen). Wegen der unterschiedlichen Qualität und Genauigkeit erfolgte eine fachliche Vorauswahl. Nach dem Scannen und Digitalisieren wurden die Schnitte mit einem eigens programmierten Werkzeug in das Modell implementiert (Arndt, 2010). Die darzustellenden stratigrafischen Grenzen und Störungen wurden dann mit GOCAD digitalisiert.
Seismische Profile, z.B. aus der Datenbank des KW-Verbundes und des HLNUG, dargestellt im Kartenserver CardoMap der BGR, konnten bei der Modellkonstruktion, ähnlich wie bei den Bohrungen, in unterschiedlicher räumlicher Dichte und Qualität verwendet werden, wobei auch hier die Datenlage im Oberrheingraben und in Osthessen am besten ist. Außerdem wurden tiefreichende Daten des DEKORP-Projekts (Erkundung der Krusten-Mantel-Grenze) verwendet. Die vorliegenden seismischen Schnitte wurden mittels eines groben Modells der Wellengeschwindigkeit von Zeit- zu Tiefenschnitten migriert. Das Geschwindigkeitsmodell wurde mit Hilfe von Geschwindigkeitsdaten interpoliert, die auf den Ausdrucken der seismischen Linien vermerkt sind. Auch wenn die Genauigkeit dieser Methode nicht sehr hoch ist, konnten hiermit jedoch maßgebliche Strukturen modelliert werden.
Vorliegende Tiefenlinienkarten stratigrafischer Grenzflächen wurden in einigen Bereichen ebenfalls zur Modellkonstruktion verwendet. Von den Modelleinheiten abweichende Tiefenlinienpläne wurden teilweise anhand von Mächtigkeitstafeln und Bohrprofilen zur Modellierung der Modelhorizonte herangezogen.
Das 3 D-Strukturmodell stellt die ausgewählten stratigrafischen Grenzen dar (Oberflächen). Wie oben erwähnt, ist die Genauigkeit, abhängig von den Eingangsdaten, regional unterschiedlich. Im Submodell Odenwald ist die Datendichte am geringsten, im Submodell Oberrheingraben am höchsten. Für den Oberrheingraben existieren zudem zahlreiche Veröffentlichungen mit Daten in verschiedenen Maßstäben, z.B. zur Raumlage von Störungen (Derer et al. 2005) oder zur Rotliegendoberfläche (Doebl & Olbrecht, 1974 sowie Müller, 1996).
Zur Ermittlung des tiefengeothermischen Potenzials sind Einheiten mit Temperaturen höher als 60 °C relevant. Daher wurden die oberflächennah vorkommenden stratigrafischen Einheiten Jura, Keuper und Muschelkalk im Modell unter dem Begriff des in Hessen dominierenden "Muschelkalk" als zusammengefasste Einheit dargestellt.
Die Oberflächen des Rotliegenden und des Prä-Perms sowie eine Mächtigkeitskarte (Isopachen) des Rotliegenden sind hier als Beispiele für aus dem Strukturmodell abgeleitete Isolinienkarten herunterladbar.
Geologische Vertikal- und Horizontalschnitte lassen sich mit dem Modell einfach erzeugen; die Möglichkeit der räumlichen Betrachtung (wmv-Datei) in verschiedenen Perspektiven ist zudem ein gutes Instrument zur Grundlagenvermittlung an die Öffentlichkeit .
Da die tatsächlichen, exakten geologischen Verhältnisse im tiefen Untergrund i.d.R. unbekannt sind, stellt ein Modell zunächst eine Interpretationder Eingangsdaten des Modellierers dar, die mit Unsicherheiten behaftet ist. Zum Einen spielen die Ungenauigkeiten (d.h. die Abweichung von einem gesicherten, nachgewiesenen, oder auch angenommenen Wert) der Eingangsdaten, wie z.B. die Genauigkeit der Einmessung der Lokation oder der Vertikalität einer Bohrung eine wichtige Rolle. Weitere Ursachen für Ungenauigkeiten liegen in der Modellierungsmethode selbst begründet, so hat z.B. die Dreiecksvermaschung einen Einfluss auf die Ungenauigkeit eines Modells. Je engständiger das Netz und je dichter die Datenbasis, desto genauer ist das Abbild der Realität. Zum Anderen entstehen Unsicherheiten in geologischen Modellen durch die erwartete geologische Komplexität, für die nicht ausreichend Eingangsdaten gegeben sind, um diese adäquat abzubilden.
Zur Dokumentation der Unsicherheit tragen alle im geologischen Modell enthaltenen Horizontflächen eine Eigenschaft Sicherheit. Diese ist in 5 Klassen unterteilt und zeigen die subjektive Bewertung der modellierten Fläche, bezogen auf die Eingangsdatenlage und die erwartete geologische Komplexität. Zudem ist für jeden Punkt dieser Flächen die Distanz zur nächstgelegenen Bohrung und zum nächstgelegenen Schnitt hinterlegt, die zur Modellierung genutzt wurden. Die Angabe der Distanz zum nächsten Eingangsdatensatz ist die einfachste Form einer Angabe der Unsicherheit und hat den Vorteil, dass die Information nicht interpretiert ist.
Die Oberflächen des 3- D-Strukturmodells bestehen aus triangulierten Punkten, die an Störungsoberflächen geschnitten sind. Es sind also 2 D-Objekte in einem 3 D-Raum. Da die für die geothermische Potenzialbewertung wichtigen Gesteinseigenschaften im Raum variieren müssen 3-D-Gesteinskörper konstruiert werden. Hierfür wurde das GOCAD-Objekt "Stratigraphic Grid" (SGrid) verwendet. Für jede Einheit mit den für tiefengeothermische Betrachtungen wichtigen Temperaturen > 60°C wurden SGrids mit Zellengrößen von 500 x 500 m in horizontaler und max. 50 m in vertikaler Richtung konstruiert. Für die Formation "Rotliegendes" entstanden so z.B. mehr als 23 Mio. Einzelzellen. Diese Zellen sind mit gesteinsphysikalischen und geologischen Kennwerten belegt. Zusätzlich zu den Formationsgrids wurde ein Grid für das gesamte Modell erstellt. Die Zellgrößen für das "Gesamt-Grid" entsprechen denen der Formationsgrids. In das Gesamt-Grid wurden die Eigenschaften abgelegt, welche nicht ausschließlich auf bestimmte Formationen bezogen sind oder auf der Formationsgeometrie aufbauen, wie z.B. die Daten des rezenten Hauptspannungsfelds nach Heidbach et al. (2010), der Abstand zu den Modellstörungen sowie die Temperatur.
Zur Erstellung des Temperaturmodells wurden die Temperaturdaten aus dem Fachinformationssystem (FIS) Geophysik (Betreiber: Leibniz Institut für Angewandte Geophysik (LIAG), Hannover) verwendet, in welchem ein Großteil der in hessischen Bohrungen durchgeführten Temperaturmessungen dokumentiert sind. Des Weiteren wurden alle für Hessen in den Datenbanken der Kohlenwasserstoffindustrie (KW-Datenbank) hinterlegten sowie alle in den Archiven des HLNUG vorhandenen Temperaturmessungen in Bohrungen mit Endteufen von mehr als 150 m gesammelt. Diese verschiedenen Datensätze wurden miteinander abgeglichen, Dopplungen entfernt und in eine auf der Struktur der Temperaturdatensammlung des FIS-Geophysik basierenden Datenbank zusammengeführt. Zur Berechnung des Temperaturmodells von Hessen standen abschließend 2029 Temperaturdaten aus Teufen von mehr als 150 m u GOK zur Verfügung. Die Temperaturdaten reichen in eine Tiefe von maximal 3604 m u. GOK. Im Bereich des Oberrheingrabens ist die Datendichte auch am höchsten.
Bei den Temperaturdaten aus Bohrungen handelt es sich um ungestörte und gestörte Temperaturlogs, Lagerstättentemperaturen, Fördertests und vor allem Bottom Hole Temperatures (BHT), die entsprechend ihrer Genauigkeit mit einem Qualitätsindex gemäß Clauser et al. (2002) belegt wurden (s. Tabelle unten).
Da alle zur Weiterverarbeitung ausgewählten Temperaturangaben aus BHT-Messungen bereits auf im Rahmen der Erstellung des FIS Geophysik korrigierten Temperaturwerten beruhen, wurden keine eigenen Korrekturen von BHT-Messungen vorgenommen. Temperaturlogs, die nicht im FIS Geophysik erfasst sind und aus den Archiven des HLNUG stammen, wurden eingehend auf Störungen während der Messungen geprüft und wurden, falls Störungen offensichtlich vorliegen, genau wie die korrigierten BHT-Werte als suboptimale Daten angesehen und entsprechend der verwendeten Qualitätsindizes (Wichtung, s.u.) klassifiziert.
Anhand der verfügbaren Temperaturdaten zeigt sich, dass der geothermische Gradient in Hessen zwischen ca. 20 und 60 K/km liegt. Geringe geothermische Gradienten finden sich überwiegend in Nordhessen im Bereich des Rheinischen Schiefergebirges und nordöstlich des Vogelsbergs. Geothermische Gradienten von mehr als 50 K/km finden sich in Hessen ausschließlich im Oberrheingraben und entlang der Grabenrandstörungen.
Da die flächenhafte Datenverteilung der Temperaturen äußerst unbefriedigend ist, konnten die flächenhaften Untergrundtemperaturen nicht über einen Interpolationsansatz berechnet werden. Daher wurde für ein Untergrundtemperaturmodell geologisches a priori-Wissen verwendet: Gemessene Temperaturdaten und Literatur zeigen entlang des Oberrheingrabens eine positive Temperaturanomalie, die mit einer lokalen Hochlage der Krusten-Mantelgrenze übereinstimmt (Dèzes & Ziegler, 2001; Grad et al., 2009). In dieser Region finden sich ebenfalls die größten geothermischen Gradienten in Hessen. Geht man von einem konstanten Wärmeimpuls an der Kruste-Mantel Grenze aus, ergibt sich aus den regional verschiedenen geothermischen Gradienten und der Tiefenlage der Moho eine plausible Korrelation. Aufgrund dieser Überlegung wurde für das Temperaturmodell von Hessen ein räumlich variabler geothermischer Gradient aus der Tiefenlage der Moho nach Dèzes & Ziegler (2001), die die Moho auf kontinentalem Maßstab abbildet, empirisch iterativ abgeleitet und mit einem für alle Tiefenlagen der Moho in Hessen (von -32 bis -23 km) gültigen Polynom dritter Ordnung beschrieben. Mittels dieser Gradienten und der Jahresdurchschnittstemperatur wurde zunächst ein „Mohotemperaturmodell“ berechnet, dass mit den vorliegenden Temperaturmessungen verglichen wurde. Dieser Vergleich zeigt, dass die Temperaturdaten außerhalb des Submodells Oberrheingraben relativ gut mit den berechneten Werten übereinstimmen. Die maximale Abweichung zu den gemessenen Daten liegt hier bei etwa ±8 K. Im Submodell Oberrheingraben ergeben sich hingegen zum Teil große Abweichungen von bis zu mehreren Zehner- Kelvin. Dies ist mit dem überwiegend konvektiven Wärmetransport entlang von Störungen in diesem tektonisch stark beanspruchten Gebiet zu erklären, während die Temperaturmessungen außerhalb des Oberrheingrabens eher einen konduktiven Wärmetransport widerspiegeln. In einem nächsten Schritt wurden die Differenzen aus "Mohotemperaturmodell" und Temperaturmessungen für den Oberrheingraben dreidimensional interpoliert. Die Addition von "Mohotemperaturmodell" und Temperaturdifferenz ergibt letztlich das Temperaturmodell.
Das resultierende Untergrund-Temperaturmodell hat hessenweit maximale Abweichungen von 10 K zu den Temperaturmessungen. Es kann jedoch nur anhand in Bohrungen gemessener Temperaturen in großen Tiefen verifiziert werden. Somit sind Ungenauigkeiten in Bereichen fehlender Messdaten oder in der Nähe von Messungen aus hydrothermalen Zonen (Heißwasseraufstiegswege, Störungen) möglich. Zum Teil sind bekannte Konvektionszellen durch die Verwendung aller verfügbaren Temperaturdaten im Modell abgebildet und sichtbar. Annahmen über die Ausdehnung von Konvektionszellen, die durch Heißwasseraufstiege an bekannten Störungssystemen belegt sind, können jedoch nicht hessenweit getroffen werden, wenn in deren Einflussgebiet keine tiefen Temperaturmessungen vorliegen. Somit können vermutete Konvektionszellen auch bei bekannten Thermalquellen aufgrund der hohen Unsicherheiten nicht im Temperaturmodell berücksichtigt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass an größeren Störungen, die parallel oder mit flachem Winkel zur Hauptspannungsrichtung orientiert sind und insbesondere an Kreuzungspunkten großer Störungen der Aufstieg von heißen Wässern möglich ist. Beispiele in Hessen sind die Thermalquellen von Wiesbaden, Bad Nauheim oder Bad Salzhausen. Eine geothermische Erschließung dieser potenziell gut geeigneten Gebiete steht jedoch in der Regel in Konflikt mit den Grundsätzen des Heilquellenschutzes.
Aus dem Modell abgeleitete Übersichtsdarstellungen sind hier verfügbar:
Karten der Temperaturen in definierten Tiefenlagen:
Karten der Tiefenlagen mit gleicher Untergrundtemperatur:
Das Modell des geothermischen Potenzials von Hessen wurde im Rahmen der Dissertation von K. Bär an der TU Darmstadt erarbeitet.
Als Basis für die hessenweite standortabhängige Beurteilung des tiefengeothermischen Potenzials dienen in Aufschlussanalogstudien ermittelte thermophysikalische, hydraulische sowie felsmechanische Kennwerte von Gesteinseinheiten, die andernorts in Hessen in Tiefen vorkommen, die für die Nutzung der Tiefen Geothermie grundsätzlich ausreichend sind. Da für Hessen keine ausreichende Anzahl an gekernten Tiefbohrungen (größer 1000 m) vorliegt, an deren Kernproben die benötigten Gesteinseigenschaften bestimmt werden könnten, stellen Messungen an einer ausreichend hohen Anzahl von Gesteinsproben, die in Aufschlüssen und aus flacheren Kernbohrungen genommen wurden, eine ideale Möglichkeit dar, eine solide geothermische Datenbasis aufzubauen. Die so ermittelten und statistisch abgesicherten Gesteinseigenschaften müssen mit Hilfe empirisch ermittelter Gleichungen, die in der Kohlenwasserstoffindustrie seit Langem in Gebrauch sind vor der Potenzialbestimmung auf die Druck- und Temperaturbedingungen des Reservoirs umgerechnet werden.
Die im 3 D-Strukturmodell dargestellten Gesteinseinheiten mit Temperaturen von mehr als 60 °C können nach dem Stand der Technik zur direkten Wärmenutzung und darüber hinaus bei Temperaturen von über 100 °C prinzipiell und bei Temperaturen von mehr als 120 °C wirtschaftlich zur Stromproduktion genutzt werden.
Die erstmals für Hessen verfügbare Darstellung der Verteilung des tiefengeothermischen Potenzials kann als Ergänzung und Erweiterung des Geothermischen Informationssystems für Deutschland (GeotIS; Schulz et al. 2007, Pester et al. 2010) genutzt werden und schließt bestehende Wissenslücken. Sie ermöglicht eine Qualitätsverbesserung von Vorstudien und bietet eine Grundlage lokaler Machbarkeitsstudien konkreter tiefengeothermischer Projekte. Eine Auswahl von Gebieten, in denen die wirtschaftliche Nutzung der Tiefen Geothermie sinnvoll scheint, ist schon in einer frühen Planungsphase möglich.
Zur Beurteilung des geothermischen Potenzials sind Kenntnisse der hydraulischen und thermophysikalischen Kennwerte der potenziellen Reservoirgesteine erforderlich.
Eingang in die Potenzialbestimmung finden die thermophysikalischen Gesteinskennwerte Wärmeleitfähigkeit (λ), spezifische Wärmekapazität (cp) und Gesteinsdichte (ρ) sowie die hydraulischen Kennwerte Durchlässigkeitsbeiwert (kf) bzw. Permeabilität (K) und Transmissivität (Tk) bzw. Transmissibilität (TK) sowie die effektive Porosität (ne) und die Untergrundtemperatur (T). Bei den hydraulischen Kennwerten Durchlässigkeit und Permeabilität ist für die weitere Betrachtung zwischen überwiegend im Labor bestimmten Gesteins- oder Matrixkennwerten und in situ bestimmten Gebirgskennwerten zu unterscheiden.
Als Ergänzung zu diesen Eingangsdaten, die zur automatisierten Potenzialbestimmung mit Hilfe des 3D-Modells genutzt werden, wurden Daten aus Literaturstudien zusammengetragen, die lokal die Ergebnissinterpretation der Potenzialmodells erleichtern und verbessern können. Diese Literaturdaten umfassten insbesondere Angaben zur Gebirgsdurchlässigkeit, Dichte- und Porosität von Gesteinen in Hessen und angrenzenden Gebieten sowie felsmechanische Kennwerte, wie die einaxiale Druckfestigkeit und den Elastizitätsmodul. Insbesondere Informationen zur Tektonik und des aus der World Stress Map (Heidbach et al. 2010) für Hessen vereinfacht abgeleiteten Spannungsfeldes, der vorherrschenden petrographischen Eigenschaften und über die einaxiale Druckfestigkeit zur Felsmechanik und zum Bruchverhalten sowie die Reservoirgeometrie, bzw. die potenziellen Wärmetauscherflächen aus dem 3D-Modell erweitern die Kenntnis über die Reservoireigenschaften. Unter Berücksichtigung dieser Reservoireigenschaften ist die bessere Beurteilung der tatsächlichen tiefengeothermischen Nutzbarkeit der Reservoirhorizonte, die durch die automatisierte Potenzialermittlung anhand ihrer Temperatur sowie der thermophysikalischen und hydraulischen Eigenschaften als geeignet identifiziert wurden, möglich.
Thermophysikalische und hydraulische Gesteinseigenschaften wurden punktuell an mehr als 600 Gesteinsproben, aus Bohrungen und Aufschlüssen in Hessen und angrenzenden Gebieten, bestimmt (Link zu Geothermische Daten.tif). Zur statistischen Absicherung der Messwerte fanden pro Probe zwischen 10 und 30 Einzelmessungen der jeweiligen Kennwerte statt, so dass mehr als 8500 punktuelle Messwertepaare - oder tripel zusammengetragen wurden.
Die Messung der Wärmeleitfähigkeit und Temperaturleitfähigkeit erfolgte an ofentrockenen Gesteinsproben mit dem Thermoscanner. Die Bestimmung der Roh- und Korndichte sowie der Porosität erfolgten durch die Messung des Reinvolumens und Rohvolumens der Proben mit einem Heliumpyknometer und einem Pulver-Pyknometer. Die spezifische Wärmekapazität cp wurde rechnerisch anhand der gemessenen Wärmeleitfähigkeit λ, Dichte ρ und Temperaturleitfähigkeit α bestimmt. Für die Bestimmung der Gesteinspermeabilität (Matrixpermeabilität) kam ein kombiniertes Säulen- und Mini-Gaspermeameter zum Einsatz.
Weitere Daten zur Gesteinspermeabilität und -porosität konnten der Kohlenwasserstoff-Datenbank (KW-DB) des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Hannover entnommen werden. Da die in dieser Datenbank erfassten Werte von Proben aus Tiefen im Bereich der Zieltiefe tiefengeothermischer Erschließung stammen, sind sie eine wertvolle Ergänzung und Prüfmöglichkeit eigener Messwerte.
Die hydraulischen Gebirgskennwerte wurden durch die Auswertung der Daten von mehr als 900 Pumpversuchen und anderen hydraulischen Tests aus den Bohrarchiven des HLNUG und dem Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz (mit freundlicher Genehmigung) bestimmt. Die Datenauswahl wurde auf Bohrungen mit einer Endteufe von mehr als 50 m beschränkt, um zu stark oberflächennah aufgelockerte Bereiche von der Auswertung auszuschließen. Der Tiefenbereich der hydraulischen Tests liegt im Mittel zwischen 100 und 150 m, wobei einzelne Bohrungen Endteufen von mehr als 1000 m aufweisen.
Eine Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in großen Tiefen kann trotzdem nur unter Vorbehalten angenommen werden. Sie ermöglichen jedoch das Verhältnis zwischen Labordaten (Gesteinspermeabilität) und Felddaten (Gebirgspermeabilität) zu ermitteln. Den Schwerpunkt dieses Datensatzes bilden Trink-, Mineral-, aber auch Thermalwasserschließungen sowie Forschungs- und Erkundungsbohrungen. Bei einem großen Anteil der Daten handelt es sich nur um Angaben von Entnahmeraten und zugehörigen Absenkungen aus denen keine exakten Durchlässigkeiten ermittelt, sondern nur qualitative Angaben über die Durchlässigkeit getroffen werden können (Stober & Jodocy 2009). Durchlässigkeiten konnten jedoch an den ebenfalls zahlreich vorhandenen umfangreichen Daten hydraulischer Tests ermittelt werden.
Die beschriebenen Eingangsdaten sind die Grundlage für die Attributierung der geologischen Einheiten des 3D-Modells mit geothermischen Gesteinseigenschaften. Zur Beschreibung der lithostratigraphischen Einheiten wurden für jede betrachtete Gesteinseigenschaft statistische Kenngrößen (Minimalwert, Maximalwert, 1. und 3. Quartil, arithmetischer Mittelwert, Median und Standardabweichung) ermittelt. Insbesondere die Daten zur Gebirgsdurchlässigkeit sowie weitere Daten aus Literaturauswertungen wie Porosität, einaxiale Druckfestigkeit, oder Elastizitätsmodul waren bereits in den herangezogenen Quellen auf einzelne statistische Kenngrößen zusammengefasst. Diese Kenngrößen mussten ohne die Möglichkeit einer weiteren Kontrolle miteinander abgeglichen oder bei fehlenden Vergleichswerten unverändert übernommen werden (vgl. Jodocy & Stober, 2011). Die Einzelwerte der gemessenen Gesteinspermeabilitäten und der aus Pumpversuchen bestimmten Gebirgspermeabilitäten wurden für die statistische Bearbeitung zunächst logarithmiert. Diese logarithmierten Werte wurden zur Bestimmung der oben beschriebenen statistischen Kenngrößen herangezogen.
Zur Darstellung der geothermischen Gesteins- und Gebirgskennwerte wird auf die kombinierte Abbildung von Box-Whisker-Plots und Histogrammen zurückgegriffen. Dies gewährleistet die Vergleichbarkeit mit Werten anderer geothermischer Untersuchungen, wie z.B. GeotIS (Schulz et al. 2007 und 2009) oder im speziellen mit dem Projekt GeoTool (Jodocy & Stober 2011), das derzeit vom Regierungspräsidium Freiburg bearbeitet wird und im Oberrheingraben zumindest mit dem Buntsandstein den gleichen Reservoirhorizont untersucht. Grundsätzlich handelt es sich im mittleren und südlichen Oberrheingraben um die Reservoirhorizonte Buntsandstein und Muschelkalk.
Die Histogrammdarstellung ermöglicht weiterhin eine schnelle Einschätzung, ob die untersuchten Gesteinseigenschaften normalverteilt sind oder ob multimodale Verteilungen vorliegen. Außerdem wird die Identifikation von Ausreißern erleichtert.
Als Ergebnis der Datenauswertung wird für jede untersuchte Gesteinseinheit eine Tabelle der statistischen Kenngrößen, die für die weitere Potenzialbestimmung genutzt werden sowie das Histogramm und der zugehörige Box-Whisker-Plot zur Visualisierung in Form eines geothermischen Datenblattes zur Verfügung gestellt.
Die thermophysikalischen und hydraulischen Kennwerte, das geologische Strukturmodell und das Temperaturmodell bilden die Basis für die Beurteilung des tiefengeothermischen Potenzials von Hessen. Da sowohl die thermophysikalischen Gesteinseigenschaften als auch die Permeabilität von den in-situ Bedingungen der Reservoirgesteine abhängig sind, müssen die im Labor oder durch Auswertung von Felddaten ermittelten Kennwerte bei der Attributierung der Zellen (S-GRIDS) des 3D-Models unter Berücksichtigung der Druck-, Temperatur und Tiefenabhängigkeit korrigiert werden.
Die modellbasierte Quantifizierung und qualitative Beurteilung des tiefengeothermischen Potenzials beschränkt sich nicht nur auf hydrothermale Systeme, sondern erfolgt für alle in Hessen möglichen tiefengeothermischen Nutzungssysteme. Gemäß der in der Arbeitshilfe der Staatlichen Geologischen Dienste vorgestellten Gliederung werden hier die direkten Nutzungsarten, bei denen die im Untergrund gespeicherte Wärme über das Wärmeträgerfluid Wasser dem Untergrund direkt entzogen wird, in hydrothermale, petrothermale sowie störungsbezogene Nutzung unterteilt. Aufgrund der Unterschiede der einzelnen Nutzungssysteme haben die bei der Potenzialermittlung betrachteten Parameter jeweils unterschiedliche Bedeutung, die gemäß der Bewertung durch den PK Tiefe Geothermie (2008) und Stober et al. (2009) vereinfacht in der untenstehenden Tabelle wiedergegeben ist.
Vor der Beurteilung des Potenzials wird zunächst über die Untergrundtemperaturverteilung definiert, ab welcher Tiefe welche Anwendungsarten der Tiefen Geothermie möglich sind. Es werden als Grenzwerte 60 °C für die Heizwärmegewinnung, 100 °C für die technische Grenze bzw. 120 °C für die wirtschaftlich-technische Grenze der geothermischen Stromerzeugung festgelegt. Weiterhin wird ab einer Temperatur von 150 °C die Abgrenzung zum sehr hohen Potenzial für die geothermische Stromerzeugung gezogen. Diese definierten Temperaturen werden als Isothermenflächen aus dem Temperaturmodell in das geologische Modell integriert und geben somit für ganz Hessen die Mindesttiefe wieder, bis zu der gebohrt werden muss, um die Geothermie für die Heizwärmegewinnung bzw. Stromerzeugung nutzen zu können.
Die Quantifizierung des tiefengeothermischen Potenzials erfolgt gemäß der bei Muffler & Cataldi (1978) als Volumenmethode bezeichneten Vorgehensweise, die 2003 in der Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB; Paschen et al. 2003) bei den Berechnungen der tiefengeothermischen Potenziale von Deutschland von Jung et al. (2002) verwendet wurde. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass die Untergliederung des geologischen Modells in die verschiedenen Modelleinheiten und die verschiedenen Submodelle bei der Berechnung beibehalten werden können und das Potenzial demzufolge differenziert zu quantifizieren ist. Somit kann zunächst für jede geologische Modelleinheit, die aufgrund ihrer Tiefenlage und dem Erreichen der Mindesttemperatur von 60 °C als tiefengeothermischer Nutzhorizont infrage kommt, regional der Wärmeinhalt, „Heat in Place”berechnet werden.
Bei hydrothermalen Systemen ist bei der Quantifizierung, soweit dieses differenziert werden kann, die tatsächlich genutzte Mächtigkeit der wasserleitenden Schichten (Nettomächtigkeit) und nicht die Gesamtmächtigkeit der betrachteten Modelleinheit anzusetzen, um eine Überschätzung des nutzbaren Wärmeinhaltes zu vermeiden. Im konkreten Fall des tiefengeothermischen Modells von Hessen wurde aufgrund der Auflösung des geologischen Strukturmodells, der fehlenden Kenntnis fazieller Wechsel in großer Tiefenlage und der lateralen Ausdehnung der stets auf die vereinfachte Betrachtung der gesamten Modelleinheit und somit der Bruttomächtigkeit zurückgegriffen.
Weiterhin ist nach Jung et al. (2002) zu berücksichtigen, dass es sich bei dem nach diesen Ansätzen quantifizierten Potenzial nur um das technische Potenzial handelt. Unter Nachhaltigkeitsaspekten sollte und kann dieses technische Potenzial – auch vor dem Hintergrund seiner gewaltigen Dimensionen – nur innerhalb eines sehr langen Zeitraums erschlossen werden, da eine Regeneration der geothermischen Ressourcen infolge des natürlichen Wärmestroms über kürzere Zeiträume nicht möglich ist. Gründe hierfür liegen nach Jung et al. (2002) in der relativ geringen radioaktiven Wärmeerzeugung des tieferen Untergrunds, dem damit verbundenen relativ niedrigem Wärmestrom aus dem Erdinneren und der vergleichsweise schlechten Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen. Eine einmal vollständig abgekühlte Gesteinsformation benötigt demzufolge einige Jahrhunderte oder länger, um wieder die ursprüngliche Temperatur zu erreichen. Muffler & Cataldi (1978) geben an, dass für den Zeitraum einer geothermischen Nutzung eines Reservoirs von mehreren Jahrzehnten der berechnete Wärmeinhalt um maximal 10 bis 20 % höher liegt, wenn man die nachströmende Wärme aus dem Untergrund mit berücksichtigt. Die nachströmende Wärme aus dem Untergrund wurde daher bei der Quantifizierung nicht berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Quantifizierung sind in der folgenden Tabelle in einer Zusammenfassung für einzelne Modelleinheiten dargestellt:
Die qualitative Bestimmung des tiefengeothermischen Potenzials erfolgt nach der bei Arndt et al. (2011) vorgestellten Methode zur Evaluierung von Geo-Potenzialen mit Hilfe von 3D-Modellen. Dabei werden die verschiedenen betrachteten geothermischen Kennwerte entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet zur Potenzialberechnung berücksichtigt.
Für jedes Nutzungssystem erfolgt die Identifizierung und Festlegung der relevanten Eigenschaften, da das Potenzial für vier unterschiedliche tiefengeothermische Nutzungssysteme ausgewiesen wird. Die im Bewertungsschema benutzten drei Bedeutungsklassen müssen für die Übertragung auf die verwendete Methodik weiter unterteilt werden, so dass eine differenziertere Bewertungsskala mit mehreren Zwischenschritten erreicht wird. So entsteht für jedes Nutzungssystem (hydrothermale, petrothermale, störungsbezogene und geschlossene Systeme) eine eigene Bewertungsmatrix, in der die jeweiligen Bedeutungsunterschiede der einzelnen Kennwerte festgelegt sind. Hierbei wird jeweils die Temperatur als wichtigster Kennwert, vor denen, die den konduktiven und konvektiven Wärmetransport bestimmen, gewählt. Die oben als Reservoireigenschaften bezeichneten Kennwerte sind lokal variabel und können somit bei der automatisierten, modellgestützen Potenzialausweisung nicht überregional betrachtet werden. Diese Kennwerte sind vor der Erschließung durch Detailuntersuchungen wie 3D-Seismik, Bohrkernuntersuchungen und in-situ Spannungsmessungen genauer zu ermitteln. Im Rahmen der hier beschriebenen qualitativen Potenzialausweisung konnten sie nicht dargestellt werden und finden erst bei der anschließenden Interpretation der Ergebnisse des Potenzialmodells Berücksichtigung.
Für die thermophysikalischen und hydraulischen Parameter, die anhand eigener Messungen oder umfangreicher Literaturdaten besser quantifiziert werden konnten, sind vor der Verwendung des beschriebenen Ansatzes Grenzwerte festgelegt worden. Diese Grenzwerte definieren Wertebereiche für die ein sehr hohes, hohes, mittleres, geringes oder sehr geringes Potenzial vorliegt. Diese Wertebereiche entsprechen bestimmten Potenzialgraden zwischen 0 und 1, die zur tatsächlichen Berechnung mit der modellgestützen Methode verwendet werden. Somit ergibt sich für jeden Parameter eine Potenzialkurve, die das Verhältnis von Potenzialgrad zu den durch die Grenzwerte definierten Wertebereichen darstellt. Für jeden dieser mit Hilfe von Erfahrungswerten festgelegten Wertebereich zur Potenzialbeschreibung wurde unabhängig vom betrachteten Kennwert eine Farbkodierung festgelegt. Diese dient zur schnellen und einfachen Visualisierung des Potenzials sowohl für jeden einzelnen Kennwert als auch für das Gesamtpotenzial bestimmter Modelleinheiten oder Regionen.
Eine bei der Potenzialausweisung betrachtete Modelleinheit kann keine höhere Potenzialeinstufung erhalten, als die Einzelpotenzialeinstufung eines Kennwertes, wie z.B. Temperatur oder Transmissibilität, der als sehr wichtig eingestuft wurde. Dies sorgt dafür, dass das natürliche Potenzial nicht überschätzt wird. Entsprechen die hydraulischen Eigenschaften eines hydrothermalen Reservoirhorizontes nur einem mittleren Potenzial kann das Gesamtpotenzial demnach nicht als hoch oder sehr hoch eingestuft werden.
Im Rahmen des Projektes wird nur das natürliche geothermische Potenzial betrachtet. Daher können Gesteinseinheiten, für die sich nach der hier getroffenen Potenzialausweisung aufgrund geringer Gebirgspermeabilitäten für hydrothermale Nutzungssysteme nur ein geringes bis sehr geringes Potenzial ergibt, durch den Einsatz von Stimulationsmaßnahmen zu lohnenden Zielen für die geothermische Erschließung werden. Als Grenze zwischen hydrothermalen und petrothermalen Potenzial wurde die von Jung et al. (2002) oder auch Stober et al. (2009) und Schulz et al. (2009) angegebene Mindesttransmissibilität von 5 x10-12 m³ angesetzt, die nach der Potenzialeinstufung zwischen geringem und mittlerem Potenzial liegt. Ab der Einstufung mittleres hydrothermales Potenzial sind demnach je nach Druckabsenkung bei der Förderung (entspricht bei der tiefen Geothermie oftmals einem Absenkungsbetrag von mehr als 500 m) und den von der chemischen Beschaffenheit und der Temperatur abhängigen Fluideigenschaften Förderraten von mindestens 50 m³/h zu erwarten (Jung et al. 2002).
Da für das Erreichen der zur Stromerzeugung benötigten Mindestförderrate von 50 m³/h nicht die Gesteinspermeabilität, sondern die aus Gebirgspermeabilität und Formationsmächtigkeit zu errechnende Transmissibilität entscheidend ist, wurde bei den hydraulischen Kennwerten eine solche Grenzwertfestlegung nicht für die Gebirgspermeabilität, sondern für die Transmissibilität getroffen. Auch bei geringeren Gebirgspermeabilitäten als den hier als Grenzwert festgelegten kann die benötigte Transmissibilität und somit die Mindestförderrate erreicht werden, wenn ausreichend hohe Formationsmächtigkeiten vorliegen. Wird die aus Mächtigkeit und Gebirgspermeabilität berechnete Mindesttransmissibilität nicht erreicht, müssen Stimulationsmaßnahmen eingesetzt werden und es liegt kein hydrothermales Potenzial vor. In diesem Fall sind nur petrothermale oder Erschließungskonzepte über geschlossene Systeme sinnvoll.
Für jede Zelle ergibt sich aus dem zugewiesenen Kennwert und den zugehörigen Potenzialkurven für jeden in den Bewertungsmatrizen berücksichtigten geothermischen Kennwert ein Potenzialvektor. Über die Verrechnung der für die einzelnen Kennwerte getroffenen Potenzialeinstufungen und der in den Bewertungsmatrizen mit allen relevanten Kennwerten festgelegten Wichtungen ergibt sich dann die qualitative Potenzialeinstufung für das jeweilige Nutzungssystem und die jeweils betrachtete Formation. Das Gesamtpotenzial kann dann entweder für bestimmte Tiefenschnitte oder für eine bestimmte Modelleinheit oder -region aus den Werten der Einzelzellen berechnet werden. Dabei werden die beschriebenen Grenzen für Mindesttemperatur und Mindesttransmissibilität mit berücksichtigt. Zusätzlich möglich ist die Betrachtung des minimalen Potenzials unter Annahme des ersten Quartils oder Minimalwertes, des mittleren Potenzials unter Annahme des Mittelwertes bzw. des Medians und des maximalen Potenzials unter Annahme des 3. Quartils oder Maximalwertes der jeweiligen Kennwerte. Somit können neben der aus den Mittelwerten bestimmten qualitativen Potenzialverteilung auch worst-case bzw. best-case Szenarien dargestellt werden.
Zur Bewertung der Funktionalität des Konzeptes zur qualitativen Potenzialausweisung wurden vor der Anwendung auf den dreidimensionalen Fall mehrere Testreihen durchgeführt. Diese Tests, die weiterhin zur Festlegung der Grenzwerte sowie der Kalibrierung der Gewichtung der einzelnen Parameter des Konzeptes vor der Übertragung auf den dreidimensionalen Fall dienen, wurden zunächst exemplarisch an mehreren Standorten für den eindimensionalen Fall einer virtuellen Bohrung und mehreren geologisch-geothermischen Profilschnitten für den zweidimensionalen Fall durchgeführt.
Die stratigraphische Abfolge sowie im zweidimensionalen Fall die Temperatur wurde dabei bereits aus dem dreidimensionalen geologischen Modell und dem Temperaturmodell entnommen. Für den eindimensionalen Fall wurde das stratigraphische Profil ebenfalls aus dem geologischen Modell übernommen (Lage der konstruierten Bohrung auf der Karte ), jedoch für die Funktionalitätstests zur genaueren Betrachtung mit regionalgeologischen Normalprofilen weiter untergliedert.
Die Anwendung auf den eindimensionalen Fall für eine gedachte Bohrung im Umfeld von Groß-Gerau ist hier dargestellt.
Neben der Ausweisung für den eindimensionalen Fall kann auch im zweidimensionalen Fall anhand der Tiefenlage der Isothermen und der für jede Einheit aus den eigenen Untersuchungen bekannten thermophysikalischen und hydraulischen Eigenschaften entsprechend dem vorgestellten Bewertungsschema das tiefengeothermische Potenzial ausgewiesen werden. Die Lage eines konstruierten Potenzialschnittes ist ebenfalls der Karte zu entnehmen, die Ergebnisse sind hier zusammengefasst.
Mit dem geologischen 3D-Strukturmodell, dem Modell der Untergrundtemperaturverteilung von Hessen sowie durch die Datenbasis geothermischer und hydraulischer Messdaten für die verschiedenen Gesteinseinheiten Hessens steht eine umfangreiche Datenbasis zur Verfügung, um das tiefengeothermische Potenzial für ganz Hessen dreidimensional qualitativ ausweisen und quantifizieren zu können.
Als Beispiele für Kartendarstelllungen, die aus dem Modell generiert wurden, können Potenzialkarten für verschiedene tiefengeothermische Nutzungsarten und verschiedene Tiefen für die gesamte Landesfläche und speziell für den Oberrheingraben heruntergeladen werden:
- Hydrothermales Potenzial Hessen in 1500 m u. GOK
- Hydrothermales Potenzial Hessen in 2500 m u. GOK
- Hydrothermales Potenzial Hessen in 3500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial Hessen in 1500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial Hessen in 2500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial in 3500 m u. GOK
- Hydrothermales Potenzial Oberrheingraben 1500 m u. GOK
- Hydrothermales Potenzial Oberrheingraben 2500 m u. GOK
- Hydrothermales Potenzial Oberrheingraben 3500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial Oberrheingraben 1500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial Oberrheingraben 2500 m u. GOK
- Petrothermales Potenzial Oberrheingraben 3500 m u GOK
Für folgende aus dem Geologisch-Geothermischen Modell erzeugte Vertikalschnitte können Darstellungen der Geologie und des hydrothermalen und petrothermalen Potenzials heruntergeladen werden:
- Übersichtskarte mit Schnittlagen
- Schnitt Süd - Nord AA'
- Schnitt West - Ost BB'
- Schnitt West - Ost CC'
- Schnitt West - Ost DD'
- Schnitt West - Ost EE'
- Schnitt West - Ost FF'
Mit dem Modell können für alle denkbaren Gebiete (z. B. geologische Strukturräume wie Oberrheingraben, definierte stratigrafische Einheiten und/oder Räume innerhalb politischer Grenzen wie Landkreise und Gemeinden) Berechnungen des petrothermalen, hydrothermalen und störungsbezogenen Potenzials sowie des Potenzials für geschlossene Systeme vorgenommen werden.
Für die Geothermischen Tiefenpotenziale von Hessen wurde eine umfangreiche Datenbasis thermophysikalischer Gesteinskennwerte wie Wärmeleitfähigkeit, Temperaturleitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität sowie hydraulischer Kennwerte wie Gesteinspermeabilität, Gebirgspermeabilität und Transmissibilität ermittelt. Diese Datenbasis wird durch Porositätsdaten, Gesteinsdichten und felsmechanische Kennwerte ergänzt und bildet gemeinsam mit dem geologischen 3D-Strukturmodell von Hessen und dem Modell der Untergrundtemperaturverteilung die Grundlage für die Beurteilung der tiefengeothermischen Potenziale von Hessen.
Die präsentierten Beispiele des Konzeptes zur Ausweisung des tiefengeothermischen Potenzials von Hessen zeigen für den eindimensionalen (Bohrung) und zweidimensionalen (geologisch/geothermische Schnitte) Fall, dass die Anwendung des Konzepts zur qualitativen Potenzialausweisung funktioniert und im Rahmen der Modellauflösung zufriedenstellende, nachvollziehbare Prognosen zum standortbezogenen geothermischen Potenzial liefern kann. Neu ist hierbei, dass neben den hydrothermalen Potenzialen gleichzeitig auch die Potenziale petrothermaler, störungsbezogener und geschlossener tiefengeothermischer Systeme berücksichtigt werden.
Zusätzlich sind die geothermischen Gesteinskennwerte der einzelnen Modelleinheiten für weitere Berechnungen oder numerische Modellierungen konkreter geothermischer Projekte nutzbar. Somit steht eine umfangreiche Planungsgrundlage für die zukünftige Nutzung der Tiefen Geothermie in Hessen zur Verfügung, die eine Qualitätsverbesserung bei der Projektierung geothermischer Anlagen leisten kann.
Generell ist die Datenlage zur geothermischen Bewertung des kristallinen und metamorphen Grundgebirges als potenzieller petrothermaler Nutzhorizont allerdings noch unbefriedigend. Insbesondere zum strukturellen Aufbau, der Temperatur und Wärmestromdichte aus Bohrungen und dem lokalen Spannungsfeld in größeren Teufen besteht weiterer Forschungsbedarf. Gegenstand künftiger Untersuchungen sollte außerdem das Rotliegend-Reservoirsystem des nördlichen Oberrheingrabens sein. Hier könnte anhand der Altseismik der KW-Exploration sowie neuerer Seismik der Geothermie-Exploration ein detaillierteres geologisches Strukturmodell erstellt werden, das maßgeblich zur genaueren Abschätzung der Nutzbarkeit und der Quantifizierung der geothermischen Ressourcen sowie zum besseren Verständnis des Störungs- und Kluftsystems beitragen könnte. Ein solches Modell kann außerdem den Fach- und Genehmigungsbehörden sowie Projektplanern als Grundlage dienen, hydraulische und thermische Wechselwirkungen bestehender und geplanter Kraftwerksprojekte besser vorauszusehen.
Dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird für die Finanzierung des Projektes herzlich gedankt.
Für die Möglichkeit der Archivnutzung zu Datenrecherchezwecken gilt der Dank des Projektteams dem Landesamt für Geologie und Bergbau, Rheinland-Pfalz.
Nicht zuletzt dankt das Projektteam allen Studierenden, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten und Tätigkeiten als studentische Hilfskräfte am Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Darmstadt zur Erweiterung der geothermischen Datenbasis maßgeblich beigetragen haben.